Alstom: Spekulationen um Verlagerung der Mannheimer Turbinen-Produktion nach Amerika / Betriebsrat will das nicht hinnehmen

„Befürchten das Schlimmste”

Von unserem Redaktionsmitglied Matthias Kros

Mannheim. Der Alstom-Betriebsrat befürchtet, dass der französische Konzern seine Produktion von Gasturbinen von Mannheim ins amerikanische Werk Chattanooga will. „Wir befürchten das Schlimmste”, sagte gestern Elisabeth Möller, Vorsitzende der Arbeitnehmervertretung. So sei vorgesehen, dass Mitarbeiter aus der Endmontage in Mannheim ins Alstom-US-Werk Chattanooga entsendet werden, um dort die heute noch in Mannheim gebauten Maschinen zu montieren und die Kollegen in den USA entsprechend zu qualifizieren.

„Wenn die Amerikaner aber erst die Turbinen bauen, sind wir überflüssig”, ist Möller sicher. Sprich: Der Produktion in Mannheim mit ihren rund 470 Mitarbeitern drohe mittelfristig das Aus. „Und das hätte auch massive Konsequenzen für den gesamten Standort.” Insgesamt beschäftigen die Franzosen in Mannheim etwa 1800 Mitarbeiter.

Schon jetzt würden außerdem Turbinen-Bauteile, die eigentlich dem seit Jahren mit schwacher Auslastung kämpfenden Standort Mannheim zugesagt worden seien, wieder aus der Produktion herausgenommen und extern gefertigt. Gestern versammelten sich deshalb spontan einige Mitarbeiter in einer Produktionshalle und stellten sich um Maschinen, die abtransportiert werden sollten.

Auch der Betriebsrat ist sauer und fühlt sich überrumpelt: „Obwohl die Betriebsleitung uns Gespräche über die künftige Auslastung der Produktion zugesagt hat, werden jetzt einfach Fakten geschaffen.” Die Stimmung ist gereizt: „Der Betriebsrat sieht durch dieses einseitige Vorgehen eine massive Störung des Betriebsfriedens und befürchtet eine Eskalation in der Fabrik“, heißt es in einer Mitteilung der Arbeitnehmervertretung an die Belegschaft von gestern.

Neues Konzept „in Kürze”

Die Unternehmensführung bemühte sich sogleich, die Gemüter etwas zu beruhigen: Man arbeite derzeit an einem „ehrgeizigen Konzept, um auf die aktuellen Marktgegebenheiten wirkungsvoll reagieren zu können”, richtete eine Sprecherin aus. „In Kürze" werde dieses Konzept dem Europäischen Betriebsrat vorgestellt”. Möller geht das nicht schnell genug: „Wir werden hingehalten”, schimpft die Betriebsratsvorsitzende. Sicher gebe es bereits „ein neues Restrukturierungskonzept für Mannheim”.

Alstom steckt vor allem wegen der Auftragsflaute in der Kraftwerkssparte und einem miesen Geschäft in Europa in der Krise. Die Not ist offenbar groß: Neben einem umfangreichen Sparprogramm wollen die Franzosen rasch auch Teile ihrer Bahnsparte an die Börse bringen, um an frisches Geld zu kommen. Sogar von staatlichen Finanzhilfen ist die Rede.

Tatsächlich werden in Europa kaum noch neue Kraftwerke gebaut, in Deutschland werden wegen der Energiewende sogar immer wieder bestehende Anlagen geschlossen. In den USA könnten dagegen künftig Gas-Kraftwerke Konjunktur bekommen, da dort durch das sogenannte Fracking massenhaft günstiges Schiefergas gewonnen werden kann. Zudem könnte der aktuelle Dollar-Kurs für Alstom eine Produktion in Chattanooga attraktiv machen. Das erst wenige Jahre alte Werk, in das die Franzosen laut Medienberichten rund 300 Millionen Dollar investiert haben, machte zuletzt allerdings eher durch Stellenabbau von sich reden.

Der Betriebsrat befürchtet nun eine Art „Wiederbelebung” auf Kosten Mannheims. "Ein Know-how-Transfer und Abzug von Aktivitäten aus Mannheim wird vom Betriebsrat aber nicht akzeptiert", gibt sich die Arbeitnehmervertretung gewohnt kämpferisch.

Schwankender Riese

Wegen der schwachen Geschäfte hat Alstom bereits im Herbst 2013 ein neues Sparprogramm aufgelegt. Dabei sollen bis 2016 weltweit 1300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Damals hieß es, dass in Mannheim keine Jobs auf der Kippe stehen.

Deutschlandweit beschäftigt Alstom knapp 9000 Mitarbeiter. Mannheim ist Teil der Kraftwerkssparte von Alstom. Zweites Standbein der Franzosen ist die Bahnsparte mit dem bekannten Hochgeschwindigkeitszug TGV. Um sich frisches Geld zu beschaffen, will Alstom diese Sparte zum Teil an die Börse bringen.


Es geht ums Ganze

Von Matthias Kros über die Lage bei Alstom in Mannheim

Dem leidgeprüften Mannheimer Alstom-Werk ist scheinbar auch 2014 keine Ruhe vergönnt. Eine Restrukturierung jagt hier seit Jahren die nächste. Und wieder einmal sind die Fronten schon zu einem frühen Zeitpunkt der Auseinandersetzung verhärtet.

Auf der einen Seite der stets kampfbereite Betriebsrat, der sich einer breiten Unterstützung in der Belegschaft sicher sein kann. Auf der anderen Seite die etwas passiv wirkende Geschäftsleitung, der allerdings häufig Handschellen aus Paris angelegt sind.

Allerdings hat man das Gefühl, dass es diesmal ums Ganze geht. Denn die Produktion in Mannheim ist den vergangenen Jahren schon derart eingedampft worden, dass ein weiterer Aderlass mittelfristig wohl eine komplette Schließung bedeuten würde. Und ohne dieses Herzstück könnte der Rest auch ganz schnell in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Doch soweit muss es nicht unbedingt kommen. Das hat ebenfalls die Vergangenheit gezeigt. Schon oft genug hat sich der Betriebsrat derart unnachgiebig gegen verschiedenste Sparpläne gestemmt, dass aus manchem Horrorszenario ein passabler Kompromiss wurde. Viel dürfte in den kommenden Wochen davon abhängen, wie groß die Not bei den Franzosen wirklich ist.

© Mannheimer Morgen, Mittwoch, 16. 4. 2014